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Gesundheitserziehung als Arbeitsblatt

Dieses Arbeitsblatt für ein erstes Schuljahr zum Thema Covid 19 geistert gerade durch die sozialen Medien. Es wird sehr emotional diskutiert. Die Kinder erhalten eine Vorlage mit je drei Möglichkeiten, was richtig und was falsch ist. Unten am Rand sieht man, dass es zum Bereich „erstes Sachwissen“ gehört. Es geht also um Gesundheitserziehung in Zeiten der Pandemie. Unterstützt werden „richtig“ und „falsch“ durch eine Maus, die freundlich oder böse guckt. So wird den Kindern umso deutlicher, welches Verhalten erwünscht oder unerwünscht ist.

 

Die Aussage des Blattes

Das Kind hat nicht viel Auswahl, denn dieses Blatt ist nicht als Diskussionsgrundlage gedacht. Es gibt klare Vorgaben: Drei der Verhaltensweisen sind richtig und drei sind falsch. Und das brave Kind ist natürlich eingenordet genug, um zu wissen, was als richtig erwartet wird: Hände waschen, Maske tragen, Abstand halten. Soweit, so gut. Da ist erst einmal nichts gegen zu sagen. Schauen wir auf die andere Seite. Dort wird dem Kind eingeimpft, dass Nähe (durch Tuscheln), gemeinsames ruhiges Spielen und auch Singen ungesund sind.

 

Didaktik eines Arbeitsblattes

Wir alle kennen die Arbeitsblätter, die früher – und in schlechtem Unterricht auch heute noch – in erster Linie als Beschäftigungstherapie dienten. Manchmal unter dem Deckmäntelchen, motorische Fähigkeiten (Schneiden, Kleben) zu schulen, setzen Lehrkräfte auch heute gerne noch solche Blätter ein. Und ich möchte betonen, dass viele hervorragende Lehrkräfte es nicht mehr tun. Die Frage bei einem Arbeitsblatt sollte immer sein: WOZU dient es? Aus Sicht des Kindes: Wozu ist es nützlich, dass ich dieses Arbeitsblatt bearbeite? Was kann ich nachher mehr als vorher? Worin bringt es mich weiter? Was kann ich danach, was ich vorher noch nicht wusste? Ein Arbeitsblatt sollte also immer eingebettet sein in eine dienende Funktion.

 

Wie könnte solch ein Blatt also dienlich sein?

Für mich persönlich dürfte die Anweisung eines solch gestalteten Arbeitsblattes eigentlich nur eine sein: Nehmt euch in einer Kleingruppe dieses Blatt und diskutiert es. Erzählt uns danach, was eure Meinung dazu ist. Und ich würde mir wünschen, dass die Kinder diskutieren, was das Zeug hält. Dass sie zur Erkenntnis kommen, alles ist gesund. Ich wünsche mir, dass das gefördert wird, was Schule fördern sollte: Denken, austauschen und sich eine Meinung bilden und sie dann öffentlich vertreten.

 

Die eigene Meinung bilden und klar vertreten

Wenn es meine Klasse wäre, wäre mein Traumergebnis, dass der Sprecher der jeweiligen Gruppe sagt: „Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass alles richtig und gesund ist. Alle haben gelernt, dass es wichtig ist, dass wir uns die Hände waschen. Momentan ist es wichtig, dass wir einen Mundschutz tragen und Abstand halten. Niemand von uns sollte alleine irgendwo stehen, denn das fühlt sich nicht gut an und kann auch krank machen, weil wir Nähe brauchen und auch mal tuscheln möchten. Dabei können wir vorsichtig sein, etwas mehr Abstand halten und die Maske dabei tragen. Gemeinsam zu spielen ist wichtig, um nach der Schule abzuschalten, und auch dabei kann man vorsichtiger sein als sonst. Wir sind als Gruppe der Meinung, dass nichts davon falsch oder ungesund ist.“ Ob diese Reflexion in einem ersten Schuljahr möglich ist, sei dahingestellt. Aber ich würde es feiern!

 

Der unterschiedliche Umgang mit der Pandemie

Es macht mich wütend, dass es Schulen gibt, in denen solche Arbeitsblätter als pädagogisch wertvoll gelten und eingesetzt werden. Wir alle gehen mit den Maßnahmen der Pandemie seelisch sehr unterschiedlich um. Gestern beim Gassigehen bat mich eine Dame, deren Hund zu mir kam, ihn nicht zu streicheln. Ich hatte gar keine Anstalten gemacht, ihn zu streicheln und zuerst verstanden, ihr Hund hätte Corona und sie wolle mich schützen. Ich brauchte einige Momente, um zu verstehen, dass sie Sorge hatte, dass ich ihr über das Streicheln der Locken ihres Königspudels Covid 19 ins Haus bringe. Als ich weiterging, fragte ich mich, um wie viel mehr sie sich selbst durch ihre Angst in dieser Zeit wahrscheinlich in ihren Kontakten einschränkt als ich mich, die glaube ich einfach „normal“ damit umgeht. Natürlich kenne ich keinen Hintergrund ihrer Ängste und möchte das auch nicht bewerten.

 

Corona und Beziehung

Entwicklungspsychologisch spielt die Beziehung zu Lehrkräften besonders für Kinder unter zehn Jahren eine wichtige Rolle. Durch die Schulschließungen fehlte den Kindern plötzlich ihre Struktur. Weitaus schlimmer war für viele aber die Trennung von ihren wichtigen Bezugspersonen und ihren Freunden. Viele Lehrkräfte haben sich leider nicht bemüht, diese Beziehung über die Monate aufrecht zu erhalten, sondern haben nur Arbeitsanweisungen geschickt. Kinder können das zwar kognitiv bis zu einem gewissen Grad verstehen, aber die emotionalen Folgen durch die Trennung von Bezugspersonen war schwer, gerade für Kinder, die zuhause keine emotionale Stabilität erleben.

 

Ein sehr besonderer Übergang

Dieses Arbeitsblatt war für Erstklässler. Das sind also die Kinder, die coronabedingt meist ohne richtige Verabschiedung ihren Kindergarten – und somit wichtige Bezugspersonen – verlassen haben. Sie starten in einen aufregenden neuen Abschnitt ihres Lebens. Dieser Übergang wird üblicherweise von Kindergärten und Grundschule besonders vorbereitet und begleitet. Weil alle Übergänge Einschnitte bedeuten. Und nun erhalten sie im ersten Monat ihres Schulalltags solch ein Arbeitsblatt. Normalerweise geht es in diesen ersten Monaten darum, eine Klassengemeinschaft aufzubauen. Die Kinder sollen Zeit haben, gut anzukommen, sich kennenzulernen. Sie brauchen diese Zeit. Wir möchten, dass unsere Kinder sich wohl, sicher und zugehörig fühlen, denn vor allem dann ist auch eine gute Lernatmosphäre möglich.

 

Psychologische Wirkung 

Man darf dieses eine Arbeitsblatt sicher nicht überbewerten und kann nur hoffen, dass nicht der ganze Unterricht in der Form gestaltet wird. Manchmal frage ich mich aber, ob solche Lehrkräfte nicht genug reflektieren. Ob sie ein Blatt einfach mal schnell einsetzen, weil es nett aussieht und die Klasse dann eine Zeit beschäftigt ist? Denken sie wirklich, dass diese Verhaltensweisen gesundheitsschädlich sind? Sind sie selbst verunsichert und haben Angst, wieder in der Schule zu sein und sich anzustecken? Ich persönlich halte es für ein völlig falsches Signal, das gesendet wird, denn Nähe, Spielen und auch Singen sind wichtig für eine gesunde Entwicklung. Schule sollte aufklären und Sicherheit und Stabilität vermitteln. Hoffen wir, dass viele Kinder aufstehen und sagen, dass diese drei Verhaltensweisen nicht ungesund sind, und dass sie wissen, dass man im Moment einfach nur vorsichtig dabei sein muss.

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