Viele Lehrkräfte in unseren Seminaren erzählen gerade von ihrer schwierigen Situation in den Schulen. Eine Gymnasiallehrerin aus dem Ruhrgebiet fasst es so zusammen: „ Alles soll in meiner Klasse so laufen, wie vor der Pandemie. Alle Klausuren sollen genau wie immer geschrieben oder sogar nachgeholt werden, die Noten wie immer verteilt und der „ganz normale“ Rhythmus eingehalten werden. Doch die Schüler:innen bräuchten eigentlich gerade erstmal Mittel und Wege, um die Belastungen aus den vergangenen Monaten abzubauen.“ Sie glaubt, dass aktuell keine Lehrkraft an ihrer Schule es richtig findet, so weiterzumachen wie bisher.
„Die Ressourcen sind aufgebraucht. Eine aktuelle Studie des Hamburger Uniklinikums UKE zeigt, dass 30 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter Symptomen von psychischen Erkrankungen leiden, die man behandeln müsste.“, sagt der Psychologe Julian Schmitz, Professor für Kinder- und Jugendpsychologie an der Universität Leipzig. (zum Artikel) Auch laut der Daten der Uniklinik Essen, die deutschlandweit 27 Kinderintensivstationen befragte, sei die Suizidalität um 400 Prozent angestiegen. Das ist wirklich dramatisch.
Aber was hilft Kindern und Jugendlichen? Und was sollten wir als Erwachsene im Kontakt mit ihnen jetzt tun? Die naheliegendste Möglichkeit beschreibt Julian Schmitz: „Gespräche anbieten, nachfragen, ein offenes Ohr haben, das ist wichtig. Und auch auf Veränderungen eingehen.“
Das klingt einfach, scheint aber für viele Erwachsene nicht so einfach zu sein. In unseren Seminaren bekommen wir immer wieder die Rückmeldung, vor allem auch von Lehrer:innen, dass sie sich nicht kompetent genug fühlen, solche Gespräche mit Kindern und Jugendlichen zu führen. Wie fange ich so ein Gespräch an, ohne dass das Kind sich verschließt? Welche Fragen kann ich stellen? Wie bleibe ich offen im Gespräch, ohne zu schnell zu bewerten?
Diese Vorgehensweise ist erlernbar und das wahrscheinlich wirksamste „Mittel“. Es kostet natürlich Mühe, Zeit und manchmal auch Mut. Doch es lohnt sich!
Ein gutes Gespräch hilft auf verschiedenen Ebenen: Wenn ein Kind nachspüren und aussprechen kann, wie es ganz individuell den derzeitigen Stress in sich wahrnimmt, dann hat es die Möglichkeit, sich selbst ein Stück besser zu verstehen. Es kann durch Nachfragen und Zuhören besser erkennen, wodurch genau der Stress ausgelöst wird. Sind es das ständige Tragen der Maske oder eher das mulmige Gefühl der Ohnmacht, nichts Besseres tun zu können – oder doch etwas ganz anderes. Wenn die Innenschau klarer wird, dann kann ein Kind auch selbst besser einschätzen, was es gerade braucht und wie es wieder mehr in die Balance kommen könnte. Kinder melden uns zurück, dass es genau dann ein gutes Gespräch ist, wenn sie sich danach mehr im inneren Gleichgewicht fühlen. Und sie können das meist viel besser beschreiben, als Erwachsene glauben. Oft glauben wir zu wissen, wie es dem Kind geht und geben vorschnelle Ratschläge. Dadurch werden aber die Selbstwahrnehmung und Selbsteinschätzung der Kinder gestört. Nur wenn ein Kind selbst weiß, was ihm gerade hilft, Spannungen abzubauen, dann entwickelt es auch die Zuversicht, schwierige Situationen meistern zu können. Dadurch entsteht Widerstandkraft bzw. Resilienz. Darüber hinaus hilft dieser einfühlsame Gesprächskontakt den Kindern, selbst Empathie zu entwickeln und die Verhaltensweisen der Erwachsenen, Freunde und Mitschüler:innen wieder besser einzuordnen.
Verständnisvolle Innensicht, innere Balance, Widerstandskraft und Empathie – all das kannst du also mit einem guten Gespräch bei Kindern und Jugendlichen um dich herum fördern. Und so ein Gespräch zu führen, ist nach meiner Erfahrung für dich selbst ein wunderbares Erlebnis. Also, nicht einfach zurück zur Normalität, sondern Anlässe schaffen, bei denen Gespräche miteinander möglich sind.