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Wieder werfen Arbeitsblätter Fragen auf

Schon vor vier Wochen habe ich einen Blogartikel über ein Arbeitsblatt in Zeiten von Corona verfasst. Dieses Blatt war für ein 1. Schuljahr, und es ging darum, das soziale Miteinander zu „regeln“. Nun stolpere ich über zwei weitere Blätter, die ich mir mal genauer angeschaut habe. Es ist nicht zu erkennen, ob sie aus der Zeit des Shutdowns oder aktuell sind, wahrscheinlich aber von April/Mai. 

Positiv bedeutet nicht immer gut

Vermeintlich positiv motivierend ist das erste Blatt. Die Kinder sollen zehn Dinge aufzählen, die sie während einer Pandemie machen dürfen. Der Fokus liegt darauf, was die Kinder zuhause gemacht haben. Wie sieht solch ein Liste wohl aus?

  1. Ich darf länger am Handy rumhängen.
  2. Ich darf Playstation spielen.
  3. Ich darf fernsehen. etc.

Die Erklärung der Aufgabe folgt unten. Für manche Kinder dann leider zu spät, wenn sie ihre Liste schon geschrieben haben. Es geht also darum, zu notieren, was sie ohne Corona nicht gemacht hätten. Generell bin ich eine Freundin davon, einen positiven Blickwinkel auf Dinge einzunehmen. Im Coaching nennt sich das Reframing. Aber was ist der Sinn einer solchen Liste? Ist nicht zu erwarten, dass da viele Dinge draufstehen, über die es sich lohnen würde zu diskutieren? Gerade die Kinder untereinander.

Pädagogischer Wert der Liste

Ein kleiner Hoffnungsschimmer kommt also auf, dass diese Liste vielleicht Basis für eine Gesprächseinheit sein könnte: Was kann man denn ansonsten noch drinnen machen: spielen, reden, lesen, ein Instrument lernen, Videos drehen etc. Wenn ich auf zweite Arbeitsblatt schaue, schwindet die Hoffnung allerdings recht schnell. Ich frage mich aber auch: Was ist mit den zahllosen wunderbaren Dingen, die die Kinder draußen machen konnten, weil die letzten Monate uns nicht nur diese Pandemie sondern auch tolles Wetter beschert haben?

Die Zehn Gebote der Corona-Pandemie

Bei dem zweiten Arbeitsblatt muss ich zweimal hinsehen. Da werden die zehn Gebote in einem katholischen Bundesland wie Bayern auf die Pandemie umgeschrieben. Irritiert lese ich mich durch die Gebote.

  1. Du sollst deine Oma und deinen Opa nicht besuchen.
  2. Du sollst überhaupt keine alten und kranken Menschen besuchen.
  3. Du sollst dich nicht mit Freunden treffen.
  4. Du sollst deine Zeit nur mit deiner Familie verbringen.
  5. Du sollst nicht in den Urlaub fahren.
  6. Du sollst dir am Tag ganz oft die Hände waschen.
  7. Du sollst den Mindestabstand einhalten: 1,5 Metern.
  8. Du sollst alles von zuhause lernen.
  9. Du sollst das Grundstück nicht verlassen.
  10. Du sollst nicht mit deiner Familie einkaufen, es ist zu gefährlich.

Die Kinder sollen farblich markieren, was ihnen am schwersten fällt und was sie ärgert. Möglicherweise nur so, eventuell ist aber doch auch ein Austausch geplant.

Du sollst…

Insgesamt 10x lese ich den Satzanfang „Du sollst…“. Schon allein das zu sehen, löst bei mir Druck und Widerstand aus. Wer bestimmt hier eigentlich, was ich zu tun und zu lassen habe? Mein Lehrer will mir vorschreiben, dass wir nicht in den Urlaub fahren dürfen, auch, wenn die Bundesregierung es offiziell erlaubt? Ich soll das Grundstück nicht verlassen, auch, wenn eine Pause an der frischen Luft meinem Lernen sehr zugute käme?

In Beziehung sein – Austausch statt Regeln

Was möchten Lehrkräfte mit solchen Blättern erreichen? Denken sie, dass sie bei den Kindern innerlich etwas bewegen? Dass solche Blätter die Kinder weiter bringen? Oder ist es nur Beschäftigungstherapie?

Wie viel interessanter wäre das erste Arbeitsblatt z.B. gewesen, wenn der Arbeitsauftrag gelautet hätte: Überlegt zu zweit am Telefon – oder zu mehreren per Zoom – wie Corona euer Zusammensein in der Familie verändert hat. Gibt es Dinge, die euch näher zusammen gebracht haben? Welches neue Hobby habt ihr entdeckt, und wobei tut euch die Ruhe vielleicht sogar gut? Was würdet ihr gerne nach der Pandemie beibehalten? Statt der Gebote-Liste des zweiten Blattes könnte über Einschränkungen und Beziehungen nachgedacht werden: Sammelt, worauf wir in der jetzigen Zeit besonders aufpassen sollten. Erklärt euch gegenseitig, worauf ihr z.B. beim Händen waschen achtet. Notiert es in Stichworten. Markiert, was euch im Moment, wo wir nur wenige Kontakte haben dürfen, besonders schwer fällt und besprecht, was ihr tun könnt, damit es leichter wird, z.B. „Ich darf meine Oma nicht besuchen, aber ich schreibe ihr jetzt immer Briefe, damit sie nicht so einsam ist. Außerdem schicken wir ihr Videos davon, wenn die Familie zusammen Abend isst und sagen ihr, dass wir sie vermissen.“

Pandemie als Chance für Schule

Ich bin davon überzeugt, dass es viele Lehrkräfte gibt, die mit den Kindern in Beziehung geblieben sind und lösungsorientiert mit dem Thema Corona umgegangen sind. Denn nur dann erfahre ich wirklich, was die Kinder bewegt, was ihnen gut getan hat und was sie vermisst haben. Es ist wichtig über Ängste und Einsamkeit zu sprechen, aber auch darüber, wie leicht oder schwer es war sich zu strukturieren, ob die Kinder weniger oder mehr Druck erlebt haben, ob sie vielleicht etwas gefunden haben, was ihnen gut geholfen hat, sich wieder zu konzentrieren oder zu motivieren etc. Möglicherweise könnte die Schule durch den Austausch mit den Kindern viel darüber lernen, wie Schule druck- und angstfreier funktionieren könnte.

 

 

 

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